syrische Literatur

syrische Literatur
syrische Literatur,
 
das in syrischer Sprache verfasste, fast ausschließlich christliche Schrifttum, das sein Zentrum im oberen Zweistromland hatte, sich zur Zeit seiner größten Blüte jedoch von der Küste des östlichen Mittelmeeres durch Missionstätigkeit bis in das westliche China erstreckte. Es umfasst im Wesentlichen die Periode zwischen dem 2. und dem 13. Jahrhundert. Nach Umfang, Alter und Vielfalt ist die syrische Literatur die wichtigste des christlichen Orients. Ihre besondere Bedeutung liegt in der Mittlerrolle, die sie zwischen dem griechischen Erbe des klassischen Altertums und der arabischen Welt, zwischen Christentum und Islam, zwischen der iranischen Kultur und dem Westen sowie den einzelnen orientalischen christlichen Kirchen spielte.
 
Aus der vorchristlichen Periode sind nur Inschriften aus der Gegend von Edessa überliefert. Zu den frühen Zeugnissen der syrischen Literatur zählen Übertragungen der Bibel, wie etwa des »Diatessaron« Tatians, eine Evangelienharmonie, und die später allgemeine Gültigkeit erlangende syrische Bibelübersetzung, die Peschitta. Als bedeutender Vertreter der Gnosis trat Bardesanes hervor, als Apologet christlichen Glaubens Afrahat, während sein jüngerer Zeitgenosse Ephräm der Syrer nicht nur dogmatische und exegetische Schriften verfasste, sondern auch als Dichter religiöser Hymnen geschätzt war. Im Gefolge der christologischen Streitigkeiten entwickelte sich seit dem 5. Jahrhundert die syrische Literatur bei den Jakobiten im Byzantinischen Reich und bei den Nestorianern im Sassanidenreich nahezu unabhängig voneinander. Bei den Nestorianern wurde besonders das martyrologische Schrifttum gepflegt sowie die Exegese der Heiligen Schrift, bei der man sich auf den Bibelerklärer Theodor von Mopsuestia (* um 350, ✝ 428) berief; auch wurde das Studium der aristotelischen Philosophie betrieben, und wissenschaftliche Werke wurden aus dem Griechischen übersetzt. Nach der Vertreibung der Nestorianer aus Edessa 457 wurde in Nisibis eine Hochschule gegründet, deren erster Leiter, Narsai der Aussätzige (✝ nach 503), als Dichter den Ehrennamen »Harfe des Heiligen Geistes« erhielt. Unter den Jakobiten, deren Zentren Edessa und Amida waren, ragen im 6. Jahrhundert der die monophysitischen Lehren verteidigende Philoxenos von Mabbug (* um 440, ✝ 523), der Dichter Jakob von Sarug (* um 450, ✝ 521) und der Hagiograph Johannes von Ephesos hervor. Durch die islamische Eroberung wurde die Blütezeit der syrischen Literatur nicht unmittelbar unterbrochen. Bedeutende Autoren der Omaijadenzeit waren der vielseitige Gelehrte Jakob von Edessa und der Araberbischof Georgios (✝ 726). Unter den Abbasiden erwuchs eine einheitliche Geistesbildung in arabischer Sprache, sodass die Bedeutung der syrischen Literatur allmählich zurückging. Es entstanden jedoch, besonders im 9. Jahrhundert, noch dogmatische Abhandlungen, Bibelkommentare und kirchengeschichtliche Werke, und Nestorianer schufen interkonfessionelle Literatur in arabischer Sprache sowie Übersetzungen medizinischer und profanwissenschaftlicher Werke aus dem Griechischen. Theodor bar Konai legte 791-792 in seinem umfangreichen Scholienbuch nicht nur Erklärungen zur Bibel, sondern auch eine Übersicht über häretische Lehrmeinungen vor, und Elias bar Schinaja (* 975, ✝ nach 1049) verfasste mit seiner großen Chronographie eine in syrischen und arabischen Parallelkolumnen geschriebene Weltgeschichte; daneben dokumentierte sich durch eine Vielzahl von Rechtsbüchern juristisches Interesse. Zur Zeit der Seldschuken- und Mongolenherrschaft erlebte die syrische Literatur eine Renaissance; unter den Nestorianern wirkten neben anderen Verfassern klerikaler Poesie im 13. Jahrhundert der Dichter Georg Warda und der Grammatiker Johannes bar Zobi, unter den Jakobiten der Exeget Dionysios bar Salibi (✝ 1171), der Historiker Patriarch Michael I. (* 1126, ✝ 1199) und als Höhepunkt und Abschluss des literarischen Schaffens Bar Hebräus. Nach ihm setzte der Verfall der syrischen Literatur ein.
 
 
A. Baumstark: Gesch. der s. L. (1922, Nachdr. 1968);
 A. Baumstark: u. A. Rücker: Die s. L., in: Hb. der Orientalistik, hg. v. B. Spuler, 1. Abt., Bd. 3 (Leiden 1954, Nachdr. ebd. 1964);
 I. Ortiz de Urbina: Patrologia Syriaca (Rom 21965);
 R. Macuch: Gesch. der spät- u. neusyr. Lit. (1976);
 
Abhh. zur Lit. Alt-Syrien-Palästinas, auf mehrere Bde. ber. (1988 ff.).

Universal-Lexikon. 2012.

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